Was sind die Australischen Kriege und warum sind sie in der Geschichte nicht anerkannt?

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The Australian Wars documentary Credit: Blackfella Films

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Während der britischen Besiedlung Australiens fanden über mehr als 100 Jahre hinweg gewaltsame Konflikte zwischen den kolonialen Siedlern und den indigenen Völkern statt. Diese werden oft als Grenzkriege (Frontier Wars) bezeichnet. Australien ist zwar eine Nation, die ihre Beteiligung an Kriegen in Übersee in Ehren hält. Doch die Kämpfe, die im Ineren stattfanden und das Land schlussendlich zu dem gemacht haben, was es heute ist, sind bis heute noch nicht anerkannt.


Key Points
  • Die Australischen Kriege konnten erst anerkannt werden, nachdem die Proklamation von "Terra Nullius" rechtlich angefochten und aufgehoben worden war.
  • Die australischen Kriege wurden von der Ankunft der ersten Flotte im Jahr 1788 bis Mitte der 1930er Jahre auf dem gesamten Kontinent ausgetragen.
  • Koloniale Aufzeichnungen und archäologische Funde zeigen das grausame Ausmaß des Konflikts.
An dieser Stelle eine kurze Warnung zum folgenden Inhalt: Diese Folge enthält Anspielungen auf Gewalt, die für einige Hörer schwierig sein könnte.

Als Kapitän James Cook zum ersten Mal an der Küste des heutigen Australiens ankam, erklärte er dieses riesige Land zu "Terra Nullius", zum Niemandsland.

In Wirklichkeit beherbergte der Inselkontinent Hunderte verschiedener Nationen und Clans der Aborigines und Torres-Strait-Insulaner - Hunderttausende indigener Völker, die sofort als "Untertanen" der britischen Krone betrachtet wurden.

Dies war der Auslöser für die so genannten Frontier Wars, die Grenzkriege. Sie bezeichnen die brutalen Konflikte zwischen indigenen Völkern und Siedlern und prägten die Gründung Australiens. Das Ausmaß dieser grausamen Geschichte wird allerdings erst jetzt erkannt.

Die Filmemacherin Rachel Perkins gehört dem Arrernte und Kalkadoon Volk an und hat europäische Wurzeln. 2022 brachte sie eine Fernsehserie heraus, die den Kampf der indigenen Völker zur Verteidigung ihres Landes gegen die britischen Siedler beschreibt.

These were the wars that were fought in Australia, and they were the wars that really made the modern Australian state.
Rachel Perkins, Filmmaker.
Die australischen Kriege wurden ab der Ankunft der ersten Flotte im Jahr 1788 bis Mitte der 1930er Jahre auf dem gesamten Kontinent ausgetragen. Aber bis zum Ende des 20. Jahrhunderts wurden sie weder in den Schulen gelehrt noch gar als Krieg anerkannt.

Professor Henry Reynolds ist einer der angesehensten Historiker Australiens und ein Experte auf dem Gebiet der Kriegsführung. Als er 1966 mit dem Geschichtsunterricht begann, fanden die Aborigines in den Geschichtsbüchern fast gar keine Erwähnung.

"Darin wurden die Aborigines nur zweimal erwähnt, und zwar nur am Rande. Es gab nicht einmal einen Eintrag im Index", sagt er.

Sehen Sie hier den Trailer zu The Australian Wars:
Laut Prof. Reynolds lag dies zum Teil daran, dass die Grenzkriege in der Mitte des 20. Jahrhunderts nicht als richtige Kriege wahrgenommen wurden, da der Konflikt eher einem Guerillakrieg glich.

"Man war der Ansicht, dass die Kämpfe zu klein und zu verstreut waren, um die Schwere eines Krieges zu erreichen. Es gab keine Uniformen, keine marschierenden Soldaten... Es handelte sich nie wirklich um große Formationen und Schlachten im klassischen Sinne. Aber nichtsdestotrotz war es eindeutig eine Form der Kriegsführung."

Der Historiker Dr. Nicholas Clements, ein weiterer Experte für die australischen Grenzkriege, stimmt dem zu. Seiner Meinung nach ist dieses Missverständnis eine Folge des Ersten und Zweiten Weltkriegs, die die Wahrnehmung der Kriegsführung verändert haben.

Diese Art von groß angelegten Kriegen ist jedoch in der Geschichte der Menschheit ungewöhnlich.

"Damals wusste man, dass es sich um einen Krieg handelt. Alle kolonialen Dokumente sprachen von Krieg, aber im 20. und 21. Jahrhundert haben wir das aus den Augen verloren. Und ich denke, es gibt auch einige politische Gründe, warum viele Menschen es nicht als Krieg erkennen können", erklärt Dr. Clements.

Diese politischen Gründe gehen auf einen rechtlichen Widerspruch zwischen der Proklamation von "Terra Nullius" und dem britischen Recht zurück. Da die Ureinwohner zu Untertanen der Krone erklärt worden waren, konnte das Empire "nicht offiziell den Krieg erklären... das würde bedeuten, dass sie ihren eigenen Bürgern den Krieg erklären würden", sagt Rachel Perkins.

"Dennoch setzten die Briten militärische Gewalt ein, um ihre Besetzung des Kontinents erfolgreich zu gestalten", fügt sie hinzu.
Frontier War
Frontier conflicts took place across the nation. Source: Supplied / Australian War Memorial Source: Supplied

Mabo und die Aufhebung von 'Terra Nullius'

Die Australischen Kriege konnten erst anerkannt werden, nachdem die Proklamation von "Terra Nullius" Anfang der 1990er Jahre in der bahnbrechenden Mabo-Entscheidung rechtlich angefochten und aufgehoben wurde.

"Bis zu diesem Zeitpunkt war man der Ansicht, dass den Aborigines das Land nicht gehörte und es bei den Kämpfen daher nicht um die Kontrolle von Land gehen konnte, da sie keinen Rechtstitel auf Land besaßen. Nach 1992 und diesem Urteil musste sich die Art des Krieges ändern, denn es ging eindeutig um Fragen, um die es in Kriegen schon immer ging: die Kontrolle über ein Gebiet", sagt Prof. Reynolds.

Dr. Clements sagt, dass das Versäumnis des Britischen Empire, den indigenen Besitz von Land in Australien anzuerkennen, eine historische Unregelmäßigkeit darstellt.

"Die britische Kolonisierung Australiens basierte auf einer fehlerhaften Prämisse. Im Gegensatz zu allen anderen Ländern, die die Briten kolonisierten, erkannten sie die Souveränität der indigenen Eigentümer hier in Australien nicht an. Aus diesem Grund gab es keine Verträge. Es wurde nicht versucht, mit den einheimischen Völkern zu verhandeln, und bis heute kämpfen wir aus rechtlicher Sicht darum, zu verstehen, welche Rechte sie an dem Land haben."

Und dieses Versäumnis zu verhandeln, führte zu brutalem Blutvergießen.

Koloniale Aufzeichnungen und archäologische Funde zeigen das schreckliche Ausmaß des Konflikts.

Allein das National Museum of Australia bewahrt mehr als 400 Überreste von Vorfahren der Aborigines auf. Viele von ihnen zeigen Hinrichtungen, Enthauptungen und Massaker.

Rachel Perkins sagt, dass diese Erinnerung in den Nachkommen weiterlebt.


A lot of Aboriginal people have been the vessels for carrying with history. Aboriginal people have handed down the stories of what happened to them, to us, in our families. So, I grew up knowing about the massacre of my people in Queensland and I knew about the violent rape of my great grandmother, etc.
Rachel Perkins, Filmmaker.
Rachel Perkins - The Australian Wars
Rachel Perkins - The Australian Wars Credit: Dylan River/Blackfella Films

Der Schwarze Krieg

Der Schwarze Krieg (The Black War) in Tasmanien (1824-1831) war der schwerste Grenzkonflikt in der Geschichte Australiens.

"Während der Schwarzen Kriege wurden mehr Tasmanier getötet als in Korea, Malaysia, Indonesien, Vietnam und bei Friedensmissionen zusammen", sagt Rachel Perkins in der Serie Australian Wars.

Laut Dr. Nicholas Clements war das Ausmaß der Gewalt auf beiden Seiten so groß, dass die Kolonialbehörden und Siedler "wie versteinert" waren.

"Der Widerstand der Aborigines war bemerkenswert. Jeder in der kolonialen Welt kannte jemanden, der von Aborigines getötet oder verwundet worden war, dessen Farm niedergebrannt worden war. Es war absolut erschreckend", sagt er.
In fact, serious people were contemplating having to abandon the colony.
Dr Nicholas Clements, Australian Historian.
Doch die Europäer setzten sich durch und löschten die tasmanischen Ureinwohner fast aus.

Sexuelle Gewalt verschärfte den Konflikt.

"Der Auslöser für die Gewalt, das Streichholz, das den Funken entzündete, war sexuelle Gewalt", fügt Dr. Clements hinzu.

Die systematische Vergewaltigung und Entführung von Aborigine-Frauen war so verbreitet, dass das Überleben einiger Aborigine-Clans auf diese sexuellen Übergriffe zurückgeführt werden kann.

"Nur um Haaresbreite haben wir heute noch Nachkommen der Aborigines in Tasmanien. Denn sie wurden fast vollständig ausgerottet, größtenteils durch Gewalt", sagt Dr. Clements.
What is Native Title explainer NITV Eddie Koiki Mabo
Eddie Mabo with his legal team. Source: SBS Credit: National Museum of Australia

Feuer mit Feuer bekämpfen

Um den Widerstand der Aborigines in vielen Teilen Australiens zu brechen, schufen die Kolonialisten die Eingeborenenpolizei - eine ausgebildete paramilitärische Truppe, mit der sie Terror verbreiteten.

"Sie rekrutierten einheimische Soldaten und setzten sie als militärische Streitkräfte ein. Das war zweifellos die wichtigste Kraft, um den Widerstand der Aborigines zu brechen", sagt Professor Reynolds.

Die Männer erhielten Uniformen, Gewehre und Pferde. Sie wurden wegen ihres traditionellen Wissens und ihrer Fähigkeiten im Busch eingesetzt. Dr. Clements glaubt, dass sie von weißen Offizieren manipuliert wurden.

"Die Zahl der Opfer, die die Eingeborenenpolizei allein in Queensland forderte, ging in die Zehntausende. Schätzungen gehen von 60 bis 80.000 aus. Ich finde, das ist absolut schwindelerregend, und es trübt diese ganze, üble Sache moralisch ein", sagt er.
Australian Aboriginal camp in the nineteenth century
A nineteenth century engraving of an aboriginal camp - Marmocchi Source: Getty Source: Getty
Rachel Perkins musste sich während der Dreharbeiten zu der Dokumentarserie Australian Wars mit all diesen Geschichten auseinandersetzen.

"Ich fand eine Aufnahme meiner Großmutter, auf der sie über das Massaker an der Familie ihrer Mutter sprach. Das hatte ich noch nie gehört, und ich war noch nie an dem Ort gewesen, an dem es geschah. Ich hatte nie wirklich herausgefunden, wo es geschah, bis ich die Dokumentarserie machte", sagt sie.

Dr. Clements, deren Vorfahren Siedler waren, ist der Meinung, dass alle Australier ihre Scham überwinden und die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit aufklären sollten.

"Unabhängig davon, ob jemandes Vorfahren daran beteiligt waren oder nicht, sind wir alle Erben des Landes der Aborigines, das gestohlen wurde. Zumindest müssen wir alle eine Rolle dabei spielen, diese Geschichte aufzudecken, uns mit ihr auseinanderzusetzen und an einer positiven Zukunft mitzuwirken."
Nowhere was resistance to white colonisers greater than from Tasmanian Aboriginal people, but within a generation only a few had survived the Black War.
Nowhere was resistance to white colonisers greater than from Tasmanian Aboriginal people, but within a generation only a few had survived the Black War. Source: The Conversation / Robert Dowling/National Gallery of Victoria via The Conversation Source: The Conversation / Robert Dowling/National Gallery of Victoria via The Conversation

Warum wird an diese Geschichte nicht erinnert?

Professor Reynolds ist der Ansicht, dass Australien als Nation, die ihre gefallenen Soldaten in ihren zahlreichen Kriegsdenkmälern ehrt, die Tatsache offen anerkennen muss, dass die Grenzkriege stattgefunden haben und mit kriminellen Handlungen gegen die Menschlichkeit gespickt waren.

"Wie kommt es, dass wir uns nicht mit den australischen Kriegen abfinden können", fragt er.

"In den Vereinigten Staaten ist das nicht der Fall. Sie erkennen alle Konflikte mit [den amerikanischen Ureinwohnern] offiziell als Kriege an. In Neuseeland ist das eindeutig nicht der Fall. Die Kriege der Maori waren immer ein wichtiger Teil der Geschichte."

Laut Rachel Perkins ist der Grund dafür ganz einfach.

"Australien ist einer der wenigen Orte auf der Welt, den die Kolonialherren nicht verlassen haben", sagt sie.
The colonists or the settlers that came with them have remained in power, so I think that makes it a bit more difficult for the nation to acknowledge or celebrate those that defended the country because the colonial occupying force hasn’t left!
Rachel Perkins, Filmmaker.
Dr. Clements ist der Ansicht, dass die Redewendung "damit wir nicht vergessen", mit der üblicherweise die gefallenen australischen Soldaten geehrt werden, auch auf die Krieger ausgedehnt werden sollte, die gegen die britische Besetzung ihres Landes gekämpft haben.

"Ich wäre so viel stolzer, wenn mein Land seine eigene Vergangenheit und das Unrecht seiner Vorfahren mutig anerkennen würde und sich dazu verpflichten würde, dieses Unrecht in Zukunft so gut wie möglich wiedergutzumachen ... Ich möchte, dass meine Kinder dort aufwachsen, wo in der Landschaft, sei es durch Denkmäler oder durch doppelte Namensgebung, die Aboriginität präsent ist und anerkannt wird."

Die Serie The Australian Wars von Rachel Perkins können Sie auf SBS On Demand streamen. Die Serie ist auch mit Audiodeskription und Untertiteln für blinde oder sehbehinderte Zuschauer verfügbar.

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